Urlaub für immer! Was für ein Traum! Campingplatz statt Reihenhaus, Weitblick statt Lesebrille, Freiheit statt Bausparvertrag. Einmal ein Leben führen, wie meine Freundinnen! So wie Pia. Sie lebt in einem Wohnmobil, zitronengelb mit Solarpanel und Wimpelkette am Rückfenster. Oder so wie Leonie. Sie hat das Leben auf dem Bauwagenplatz eingetauscht gegen die Sesshaftigkeit, aber ihr umgebauter Paketwagen steht immer abfahrbereit vor der Haustür, oder wie Ronja. Ronja rollt, wann immer es ihr behagt, mit ihrem himmelblauen VW-Bus los, Surfbrett und Sonnenbrille dabei, sucht einen schönen Strand mit den besten Leuten und den allerbesten Wellen.
Und ich? Ich schlafe in einem Bett in einem Schlafzimmer in einem gemauerten Haus. Mein PKW, in dem ich mich nicht mal
ausstecken kann, parkt vor der Tür. Über meinem Esstisch hängt eine Lampe mit Energiespar-Leuchtmittel und alle zwei Wochen wird der Hausmüll geleert. Hört sich spießig an? Aber halt! In einem
Punkt kann ich mit meinen Weltenbummler-Freundinnen locker mithalten und das ist unser nomadeninspiriertes Wohnkonzept.
Meine Familie und ich, wir pendeln tagtäglich zwischen zwei Gebäuden hin und her wie Pia, Leonie und Ronja zwischen Atlantik und Abruzzen. In dem Gebäude, das wir Haus nennen, schlafen wir, putzen unsere Zähne, dort schmiere ich die Schulbrote der Kinder und fülle ihre Wasserflaschen auf. In dem Gebäude, das wir Halle nennen, kippen die Kinder die Legokisten auf dem Boden aus und brüten widerwillig über ihren Hausaufgaben, hier riecht es abends nach frisch gedünstetem Gemüse, hier wird die Yogamatte ausgerollt, Schlagzeugrythmen erschüttern die Wände und hier stoßen wir mit Gästen auf ein Gläschen Wein an. Und der Gang zurück zu Bett und Badewanne führt immer durch den Garten, bei Regen, bei Hagel, bei Schnee, Sturm und Sonnenschein. Nachmittagshaus statt Sommerresidenz.
Die nasskalte Jahreszeit stellt bei diesem Pendelverkehr eine besondere Herausforderung dar, denn jeder Weg zu unseren Gebäuden führt dann durch Matsch, nassen Rasen oder Schotter und so ist auch jedes Schuhprofil voll mit Matsch, Rasennässe und Schotter. In den Gebäuden herrscht daher Sockengebot. Ich will nicht jedes Mal in meine Schuhe schlüpfen, Schleifen binden und Reißverschlüsse hoch ziehen, wenn ich nach drüben muss. Eine gute Koordination des Schuhwerks wirkt in dieser besonderen Wohnsituation stressreduzierend. Hier kommt der farbenfrohe Plastikpantoffel zum Einsatz, eine Erfindung, die sich trotz modischer Fragwürdigkeit nicht nur auf dem Zeltplatz durchgesetzt hat.
Natürlich verfügt inzwischen jedes Familienmitglied über mindestens zwei paar schlüpfriger Schlappen. Das garantiert aber auch nicht, dass die Schuhe da sind, wo man sie gerade braucht. Meine Tochter gleitet gerne in meine rosenbedruckten Slippers, Mirco schlappt in Papas tarnfarbenen Gartenclogs durch das nasse Gras und nicht selten tripple ich mit den Zehenspitzen in viel zu kleinen Kinderclogs durch den Regen, weil keine anderen Latschen mehr übrig sind. Im Laufe des Tages durchmischen sich bunte Plastiktreter, Stiefel, Turnschuhe und Schnürer immer wieder neu. Acht Paar Gartenschuhe und unzählige Paar Straßenschuhe versammeln sich vor drei Haustüren in einer Zahl von Varianten, die ich auszurechnen lieber einem Mathematiker überlasse. Jetzt könnte man denken, mit ein bisschen Disziplin sei unser Problem gelöst. Weit gefehlt. Niemand hat mit der Selbstbestimmung des Kunststofftreters gerechnet.
Beispielsweise wollte ich neulich meine braunen Winterstiefel anziehen, aber die standen in der Halle. Also bin ich mit Papas schwarzen Plastiklatschen durch den Matsch nach drüben geschlittert, weil meine roten Treter nicht vor der Tür auf mich gewartet haben. Drüben habe ich die schwarzen Latschen stehen gelassen und bin mit den Winterstiefeln zur Arbeit gegangen. Am Nachmittag, inzwischen mit eigenen und diversen anderen Kindern im Schlepptau, habe ich die Winterstiefel in der Halle wieder von mir geworfen. Doch als ich wenig später ins Haus rüber gehen will, sind da keine Schlappen mehr. Nicht Papas Schwarze, die ich am Morgen hier ausgezogen hatte, nicht meine roten... Also schlüpfe ich genervt zurück in die Winterstiefel, lasse den Reißverschluss auf, so dass die beiden Schafthälften auf dem matschigen Boden schleifen, stakse rüber und treffe dort sämtliche bunte Schuhe, wild durcheinander gewürfelt vor der Haustür wieder. Wo kommen die denn jetzt auf einmal her? Ich stopfe kopfschüttelnd Wäsche in die Waschmaschine, schiebe die verbliebenen Krümel vom Tisch, die sich beim Frühstück dort verstreut haben, als mir plötzlich einfällt, dass drüber der Reis auf dem Herd steht. Nix wie los! Doch was ist das? Vor der Tür liegt nur noch ein einzelner orangefarbener Treter in Größe 33. Der passt hier längst keinem mehr, trotzdem taucht das Ding hier immer wieder auf. Alle anderen Pantoffeln sind weg.
Um ein großes Reisunglück zu verhindern, rase ich auf Socken rüber und stelle mit matschigkalten Fußsohlen fest, dass sämtliche Kinder laut polternd um den Kamin herum Fangen spielen, während auf dem Herd das Risotto kokelt. Und die Schuhe? Die türmen sich wild gemischt vor den Türen, als wenn nie etwas gewesen wäre und warten auf den nächsten Transfer durch den Matsch. Inzwischen beobachte ich sogar, dass sich Schuhe farb- und größenübergreifend mischen und nicht mehr paarweise auftreten, wie Schlangen, Papageien und Zebras auf der Arche Noah. Die Evolution macht auch vor dem Plastikschuh nicht Halt.
Doch wenn die Sonne an Wärme gewinnt und Leonie die Kühlerhaube ihres Paketwagens öffnet, um nach dem Anlasser zu schauen und Pia die Sitze ihres zitronengelben Wohnmobils für den Frühjahrsputz ausbaut, wenn Ronja die ersten Bilder aus Portugal postet, dann treten die Plastikschlappen endlich ihren Sommerschlaf an, denn ab sofort gehe ich nur noch barfuß durch Garten und Gebäude und dann fühlt es sich so an wie Urlaub für immer! Campingplatz trotz Reihenhaus, Weitblick trotz Lesebrille, Freiheit trotz Bausparvertrag. Was für ein Traum!