Warten

Ich habe darauf gewartet, gezeugt zu werden, in Mamas Bauch heranzureifen und zur Welt zu kommen. Ich habe darauf gewartet, wie meine großen Geschwister, in den Kindergarten zu gehen und eingeschult zu werden. Ich habe auf  das Christkind, den Weihnachtsmann, den Osterhase, auf den Nikolaus und den Bösen Wolf gleichzeitig gewartet und nach meinem Geburtstag hab ich auf den nächsten Geburtstag gewartet. Ich habe darauf gewartet, volljährig zu werden, Auto zu fahren und aus alten Mustern auszubrechen. Mit Bangen habe ich auf meine Abiturnote gewartet und bestanden.

 

Ich habe auf den Sinn des Lebens gewartet und warte darauf noch heute. Ich habe auf meine Berufung gewartet, darauf, welche Partnerschaft erfüllend und welche Wohnung mir noch besser als die bisherige gefallen könnte. Immer wieder habe ich auf Anrufe gewartet, die nie gekommen sind, auf Emails ohne Belang, auf Liebesbriefe, Postkarten, Gewinnbenachrichtigungen von Preisausschreiben, an denen ich nicht teilgenommen habe, habe in der Schlange zur Supermarktkasse darauf gewartet, meine EC-Karte in einen kleinen Spalt zu stecken und eine vierstellige Nummer einzugeben, habe auf Züge gewartet, auf Straßenbahnen, Busse und Freunde, die pünktlich kommen wollten.

 

Ich habe auf den Urlaub gewartet, auf Vertragsverlängerungen und Arzttermine, auf den unerwarteten Geldsegen, auf gute Ideen, Ersatzteile, das Ende des Schluckaufs, auf besseres Wetter und immer wieder auf den Frühling. Ich habe darauf gewartet, dass Gäste zu meiner Party kommen und der Handwerker, um die Heizung instand zu setzen. Ich habe darauf gewartet, dass die Nudeln weich gekocht sind, habe gewartet auf Entschuldigungen und Erklärungen, auf Meetings, Listen und Downloads, auf Kommentare, Posts und Likes. Ich habe mit Spannung auf das Ende einer guten Geschichte gewartet, darauf, dass der Backofen die richtige Vorheiztemperatur erreicht, darauf, dass sich der Stau auflöst und die Ampel grün wird. Ich habe auf Antworten unzähliger Bewerbungen gewartet, auf ein besseres Fernsehprogramm, auf das Ende eines schlechten Kinofilms, darauf dass es Abend wird und darauf, dass der Sonnenaufgang mich von einer schlaflosen Nacht befreit.

 

Drei Stunden  habe ich mit zwei quengelnden Kindern darauf gewartet, dass das Auto in der Werkstatt fertig wird, während der Monteur mich immer wieder vertröstet hat. Ich habe gewartet, bis ein knurrender Hund verschwindet und mich vorbei lässt, habe gewartet bis die Kirschen reif werden, bis Schnittwunden verheilen, habe gewartet, dass das Schwimmbad aufmacht, dass ich endlich an die Reihe komme und beim Versteckspiel gefunden werde. Ich habe gewartet, dass der Kellner das Essen bringt und sich der Pilsschaum absetzt, um nach zu zapfen, dass sich der Nebel über den Feldern verzieht, darauf hab ich gewartet und auf das Ende der Linguistikvorlesung und den letzten Vorhang des Theaterstücks, das ich nicht verstanden habe und natürlich auf den richtigen Augenblick hab ich gewartet. Ich habe darauf gewartet, einen geliebten Freund wieder zu sehen und die Fotoabzüge von uns beiden abzuholen. Darauf, dass mich endlich einer versteht, hab ich immer wieder gewartet und direkt danach hab ich weiter gewartet, dass mich noch einer versteht oder besser noch zwei oder drei.

 

Auf die Auswertung von Bluttests und Vorsorgeuntersuchungen habe ich gewartet, auf Wohngeldbewilligungen und Arbeistlosengeld. Ich habe gewartet, dass meine Füße wieder warm werden und mir jemand die Tür aufmacht und sagt „Schön, dass du da bist!“. Auf das Klacken der Benzinpistole, welches das Ende des Tankvorgangs anzeigt, darauf habe ich auch gewartet. Ich habe oft darauf gewartet, dass ich mich selbst durchschaue und immer wieder habe ich auf Anerkennung und Lob gewartet. Ich habe gewartet, dass die Wirkung einer Zahnarztspritze nachlässt und ich wieder richtig sprechen kann, dass die Wäsche trocken wird, dass mein Leben sich ändert, dass lahme Schnecken sich in Bewegung setzen, meine Tage wieder einsetzen und der Schnee schmilzt. Ich habe am Gepäckband des Flughafens auf meinen Koffer gewartet und im Orchester auf meinen Einsatz. Wie lange musste ich warten, bis die Schneise, die ich mir mit dem Langhaarschneider in die Frisur rasiert hatte, wieder zugewachsen war! So oft habe ich auf Drehschluß gewartet und gewartet und gewartet. Auf Pakete habe ich gewartet, als enthielten sie das Gehemnis des Lebens, ich habe auf Wunder und Geistesblitze gewartet, darauf, dass meine neuen Wanderschuhe eingelaufen sind und keine Blasen mehr verursachen.

 

Ich habe darauf gewartet, dass ich schwanger werde und meine Kinder zur Welt kommen dann hab ich gewartet, dass die Milch einschießt und die Kaiserschnittnarbe verheilt und dass die Kinder einschlafen, dass sie aufwachen, hab darauf gewartet, dass sie groß werden, ihre Schuhe selbst binden können, dass ihnen Klamotten passen, die ich auf Vorrat gekauft habe, dass sie alleine mit Besteck essen können. Ich habe darauf gewartet, dass der Tee nicht mehr so heiß ist und der Milchaufschäumer piept, darauf, dass Magenschmerzen verschwinden und Wut verraucht. Ich habe darauf gewartet, ob ein wohl gehütetes Geheimnis auffliegt und ob die Wellensittiche brüten. Ich habe auf dem Fußballplatz gewartet und in Basketballhallen, auf dem Schulhof und in den Fluren von Musikschulen. Ich habe in Artzpraxen gewartet, im Wohnzimmer, auf dem Balkon, in der Einkaufsstraße, beim Einwohnermeldeamt, im Kofferraum hockend, im Stehen und im Liegen, im Schlaf und auf dem Fahrrad, ich habe darauf gewartet, dass das Warten ein Ende hat und das Leben endlich Fahrt aufnimmt und wenn ich nicht gestorben bin, dann warte ich noch heute.