Es war zu jener Zeit, kurz nachdem die Dinosaurier von unserer Erde verschwunden waren, weil sie zu groß, zu massig waren, zu unhandlich, um dauerhaft zu überleben, zu jener Zeit war es, als ich dich getroffen habe.
Angefangen hatte alles mit einem sintflutartigen Regen. Das Wasser platschte auf die Stadt herunter, entschlossen, alles und jeden nass zu machen, stürzte sich von den Dächern, sprudelte aus der Kanalisation und floss die Straßen herunter. Und ich mit meinem roten Dreigangrand mitten drin. Die Gischt der vorbeifahrenden Autos übergoss mich, bis ich aussah, als sei ich geradewegs aus der überschäumenden Kanalisation emporgeschwemmt worden.
Meine Hose klebte an meinen Oberschenkeln, die Jacke hing schwer an mir herunter und es troff aus meinem Haar. Meine Ohren gluckerten wie Abflussrohre und die Haut an meinen Fingern verschrumpelte zu weißlichen Falten. Mit schwarzen Rinnsalen verlaufener Wimperntusche auf den Wangen stand ich nun in der Eingangshalle einer TV-Produktionsfirma in der Kölner Südstadt und auf dem Holzfußboden unter mir bildete sich eine Pfütze. „Ich wollte fragen, ob ich hier ein Praktikum machen kann!“, fragte ich und reichte der Frau, die hinter einem Schreibtisch saß meine durchweichten Unterlagen. Sie hatte das Gesicht voller Sommersprossen, die um ihre Nase herumsprangen, wie die Lottokugeln in der Mischtrommel und sie hatte was übrig für durchnässte Praktikumsanwärterinnen, bot mir ein Handtuch, einen Stuhl und einen Kaffee an und machte sogleich ihrer Chefin klar, dass man eine junge Frau, die bei dem Regen eine Bewerbung vorbei bringt, ein echter Gewinn für die Firma sei.
Einen Monat später. Inzwischen hatte ich hektoliterweise Kaffee gekocht, das große Kopier-Diplom erworben, mit Sortierung, doppelseitigen Vorlagen, tackern und lochen, hatte die gesamte Redaktion umsortiert, Listen und Ordner erstellt und beschriftet, Telefonlisten erfunden, Recherchedatenbanken angelegt und mich mit der Funktion des Computers vertraut gemacht, womit ich manchem Redakteuren schon einen großen Schritt voraus war, als ich eines Tages von höchster Stelle damit betraut wurde, für eine neue Comedyserie Witzbolde aufzustöbern. Außer mir hatte keiner Zeit dafür. „Switch“ sollte die Produktion heißen, eine Sendung, die in Australien Kult war und auch bei uns Kult werden sollte. Der Sender Pro7 hegte große Erwartungen in dieses Format. Vermutlich hatte man ein Vermögen für die Rechte ausgegeben. Und jetzt musste das Ding unbedingt ein Erfolg werden. Ob es da das Richtige war, eine Praktikantin mit der Auswahl der Darsteller zu betrauen?
Ich hatte mein Beschleunigungsvermögen im Laufe der letzten Wochen so gesteigert, dass jeder Formel-1-Stall mich auf der Stelle abgeworben hätte, und mit ebendiesem Tempo lege ich sofort los. „Platz da, hier kommt die Superpraktikantin!“
Wochenlange tingelte ich durch die Theater der Stadt, sah mir jeden Kabarettisten und jede Witzeerzählerin an, sichtete Videos und führte nächtelange Telefonate mit ambitionierten Darstellern oder deren zwielichtigen Agenten. Wer gefiel, durfte zum Casting kommen: Bernhard Hoecker, Ruth Moschner, der unglaubliche Heinz, Peter Nottmeier, Sascha Korf, Annette Frier, Susanne Pätzold, Michael Müller, Petra Nadolny, die ihre Perücke verkehrt herum trug und noch einen ganzen Haufen weiterer Freunde der lustigen Fernsehunterhaltung.
Dann war der große Tag des Castings da. Die Produzentin rief mich in ihr Büro, griff mit erhabener Geste in die Schreibtischschublade, zauberte einen Karton hervor, öffnete ihn in Zeitlupe und holte dich hervor! Es war keine Liebe auf den ersten Blick zwischen uns, es war, es eher war sowas wie eine Zweckbeziehung.
Du warst so groß wie ein Münzfernsprecher und so schwer wie ein Backstein, ich konnte dich mit meiner Hand kaum umgreifen und beim drücken deiner Tasten lief ich Gefahr, mir das obere Fingerglied zu brechen, du, das heilige Firmenhandy und eines der wenigen deiner Gattung. Du konntest ohne Kabel, ohne Stecker und ohne festen Standort Telefongespräche erzeugen von wo auch immer du wolltest. Du warst ein echtes Wunderding. Allerdings fühlte man sich nach einem von dir vermittelten Gespräch so, als hätte man sein Gehirn gerade ein paar Runden in der Mikrowelle gedreht. Niemand kannte deine Nummer, daher klingeltest du auch nie. Du wurdest nur zu besonderen Anlässen hervor geholt, zur Berlinale, für die Filmfestspiele in Cannes, Weihnachten und Sonnenfinsternis. Und jetzt sollten wir beiden diesen Tag miteinander verbringen!
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zur U-Bahn, du in meinem Rucksack, zwischen getackerten doppelseitigen Kopien und Butterbrot, ich mit meiner Jeansjacke, mitten im Berufsverkehr, um zum Casting zu fahren, weiß du noch? Zwischen Christophstraße und Ebertplatz passierte es dann. Ich vernahm ein Geräusch. Es wiederholte sich in regelmäßigen Abständen. Es erinnerte an das Klingeln eines Telefons und dann auch wieder nicht, ein bisschen wie ein weit entferntes Windspiel, nur regelmäßig. Es war ein Geräusch, das neu war auf der Welt, ein Geräusch, mit dem wir Menschen nicht umgehen konnten, dessen Bedeutung wir nicht kannten. Kam es von draußen? Entstammte es unseren Gehirnen oder der U-Bahn? War es nur eine akustische Täuschung? Bedeutete es Gefahr? Galt es zu handeln? Nur eines war klar: es war absolut unerwünscht.
Suchend drehten sich die Fahrgäste um. Sie wollten die Quelle der Ruhestörung orten. Dann blieben ihre Augen auf mir haften, als wären sie sich dessen gewahr geworden, dass das Geräusch direkt aus meinen Gedärmen kam. Die Hitze stieg in mir auf, wie überkochende Milch. Dann plötzlich durchfuhr es mich, wie ein Blitz: DU erzeugtest das ungewohnte Geräusch. DU klingeltest in meinem Rucksack. Mitten im Berufsverkehr. Ich kann mich nicht erinnern, wann mir schon mal etwas so peinlich gewesen war wie dieses Klingeln, das aus meinem Rucksack stieg und sich in der U-Bahn ausbreitete, wie der Geruch eines zu süßen Parfüms, das Brechreiz auslöst. Ich war die einzige Person im gesamten öffentlichen Nahverkehr der Stadt, deren Rucksack klingelte und es war vermutlich auch das erste Mal, dass im öffentlichen Nahverkehr der Stadt Köln jemand auf einem mobilen Telefon angerufen wurde. Die Fahrgäste waren empört, manche amüsiert, die meisten aufgebracht. Ich nestelte meinen Rucksack auf und tauchte bis zur Hüfte in das Dunkel hinein, wühlte eilig darin herum, während du unablässig und in voller Lautstärke weiter klingeltest. Endlich bekam ich dich zu fassen. Ich klappte deine Abdeckung herunter, so dass deine Tastatur zum Vorschein kam. Ich zog die doppelt einfahrbare Antenne heraus, bis diese fast die U-Bahndecke berührte, drückte hektisch auf deinen Tasten herum und presste dich an mein Ohr, was nicht so einfach war, denn du hattest das Format einer amerikanischen Familienpackung Cornflakes. Meine Halsschlagader hämmerte. „Hallo?“ schrie ich in den Apparat. Aber du antwortetest nicht. „Haaaalloooo? Wer ist denn da?“ wiederholte ich noch lauter. Die Fahrgäste fingen an zu lachen, zeigten mit den Fingern auf mich und schüttelten die Köpfe. Jetzt schaute auch der Fahrer aus seinem Führerstand zu uns nach hinten und zeigte mir einen Vogel.
An der nächsten Station stieg ich aus und ging das letzte Stück zu Fuß. Nie, nie, niemals wieder würde ich mit einem Handy eine U-Bahn besteigen, schwor ich mir, bemüht, die Tränen zurück zu halten. Ich war davon überzeugt, dass sich diese Dinger, genau wie damals die Dinosaurier, bald schon von unserem Planeten verziehen würden. Sie waren absolut überflüssig.
Zugegeben, ich habe den Schwur schon bald noch mal gründlich überdacht und habe aus einer Zweckbeziehung eine doch noch ganz
passable Partnerschaft gemacht, allerdings bevorzuge ich inzwischen etwas handlichere Formate und dezentere Klingeltöne.
Wenn ich heute unsere Kinder auffordere ihr Mobilfunkgerät für ein paar Minuten zur Seite zu legen, schließlich seien wir
früher auch ohne diese Dinger klar gekommen, fragen sie mich nur entgeistert: „Aber wenn ihr keine Handys hattet, wie seid ihr dann ins Internet gekommen?“ Internet war für uns genauso
unvorstellbar wie für die Dinosaurier der Drive In.