Warmes Blut

Sie war allein zu Hause, als es mit ihr zu Ende ging. Allein mit dem Baby. Seit der Geburt der Kleinen war in ihrem Leben nichts mehr wie vorher. Sie war übermüdet. Ihre Augen brannten von den durchwachten Nächten und vom Weinen. Unangekündigt brach es aus ihr heraus und verwandelten einen sonnigen Tag in eine graue, diffuse Masse. Schlaf und Wach waren nicht mehr an ihrem Platz, der Hunger kam, wann er wollte und ging in einen brennenden Durst über, ließ sich nicht löschen, nicht mit Wasser, nicht mit Stilltee oder milchförderndem Malzbier. Ihr war kalt, dann wieder lief ihr der Schweiß den Rücken hinunter, wie einem Maschinist im Motorraum eines Frachtschiffes. Ungefragt glotzte der verschwenderische Garten durch das Fenster hinein, aufdringlich das Rot der Gladiolen, schreiend das Gelb der Lilien, bis sie die Vorhänge zuzog.

 

Und über alledem lag das Schreien des Babys. Auch nach vier Wochen brachte es sie noch aus der Fassung. Sie fühlte ihre Nervenbahnen wie stromführende Metalldrähte, die außen an ihrem Körper verliefen. Sie mochte sich selbst nicht riechen, nach vermoderndem Waldboden, nach Leben und Leiche, körperlich, inwendig. Die wulstige Narbe scheuert bei jedem Schritt am Hosenstoff und sonderte ein gelbliches Sekret ab, dickflüssig wie weiches Wachs. Hier hatte man das Baby im letzten Moment herausgeholt, ehe es sich selbst stranguliert hätte.

 

Wären da nicht diese Kulleraugen gewesen, diese winzigen Fingerchen mit den feinen Linien, so hätte sie alles hingeschmissen, vielleicht sogar sich selbst. Aber da waren Zehennägel, kaum größer als Linsen. Der Geruch frisch gebackener Brötchen entströmte der Fontanelle ihrer Tochter und umgab den Säugling mit heiliger Unschuld. „Ich muss jetzt glücklich sein!“, hämmerte es in ihrem Kopf. Und dann kam das Blut. Viel Blut.

 

Aus ihrem Unterleib quoll es hervor, lief warm die Innenseiten ihrer Beine hinunter und hinterließ einen dunkelroten, tellergroßen Fleck auf dem hellen Sofa. Sie lief aus wie eine geschächtete Ziege. Ihr Körper stülpte sich nach außen. Mit einer Hand griff sie den Säugling, mit der anderen versuchte sie aufzuhalten, was durch den Stoff ihrer Jeans sickerte und stakste mit zusammengekniffenen Knien ins Bad. Sie bettete den Säugling auf den dicken Teppich neben der Badewanne, wo er sicher lang. Da würde man in finden. Da konnte ihm nichts zustoßen, wenn es gleich mit ihr zu Ende ging. In der weißen Badewanne bildete sich ein dunkelroter See, ein blutiger Bach rann in den Abfluss.

 

„Ich verblute.“, sagte sie ihrem Mann am Telefon. Dann ging alles ganz schnell. Der Nachbar fing den Krankenwagen an der Straße ab, zeigt den Sanitäter den Weg ins Bad. Dann war ihr Mann da, nahm das Baby. Auf dem Weg ins Krankenhaus blinkten die Hauswänden in blauem Licht. Als sie aus der Narkose erwachte, sagte ihr Mann „Sie hatten ein Stück Placenta drin gelassen.“, strich ihr das Haar aus dem Gesicht und legt ihr das Baby auf den Bauch. Sie war wieder allein in ihrem Körper. Die Schwangerschaft war zu Ende gegangen und sie war am Leben. Am Leben mit dem Baby.