Swuuusch...
Obwohl ich weiß, dass meine Tochter ihre Zimmertür abgeschlossen hat, klopfe ich mit meinem Zeigefingerknöchel und drücke die Klinke herunter. Bringt nichts. Tür zu. Da bleibt nur warten. Lange nix. Dann schlurfende Schritte. Der Schlüssel dreht sich angestrengt im Schloss. Wie in Zeitlupe öffnet sich die Tür. Der Geruch von seit Tagen weggeatmeter Luft sickert aus dem verdunkelten Verlies und kriecht mir in die Stirnhöhle wie ein schleimiger Wurm.
„Wasss isss?“, fragt das verkleisterte Gesicht, das irgendwelche Ähnlichkeit mit Tessa hat.
„Es gibt Essen“. Ich versuche meinen Kopf durch den Spalt zu schieben, will sehen, ob noch mehr Gestalten hier hausen. Doch ehe meine Ohren den Türrahmen passieren, stoße ich mit Nase, Kinn und Stirn an eine Scheibe, die mich vom Kinderzimmer trennt.
„Was soll der Scheiß?“, frage ich genervt. Tessas Gesicht verzieht sich zu einer grinsenden Grimasse. Im Verlies prustet wer. In mir zieht sich alles zusammen: meine Haut, meine Gedärme, meine Haare, meine Gedanken. Ich hebe ab, werde abgehoben, mitsamt der Scheibe und schwebe auf das gespenstisch anwachsende Gesicht des tapezierten Teenagers zu. Erst fürchte ich runter zu rutschen. Die Scheibe: zu glatt, um mich festzuhalten. Bin ich schwerelos? Dann wäre ein Sturz ausgeschlossen. Dann spür ich sie, die Schwerkraft, wie sich mich nach unten zieht, diese alte Hexe. Meine Zehenspitze finden Halt auf einem Widerstand. Und dann das! Der Zeigefinger meine Tochter kommt direkt auf mich zu. Groß wie ein Dinosaurierstachel. Der perlmuttlackierte Nagel spitz wie der Zahn eines Säbelzahntigers. Die Hautlinien auf ihrer Fingerkuppe sind tief wie die Furchen im Schiefergebirge. Gleich wird sie mich zerdrücken wie eine lästige Fruchtfliege. Ich versuche mich wegzuducken. Zu Schreien. Zu spät.
„Wer will das wissen?“, fragt Tessa, lässt den Finger genüsslich auf der Scheiben landen, genau auf meinem Gesicht und „Swusch“ wischt sie mich hinaus ins Schwarz des Cyberspace…